„Was guckst du?“ – Rats-TV? Ja, aber…

Keine Frage, die Kommunalpolitik muss attraktiver gestaltet werden, denn sie hat ein Aufmerksamkeitsproblem. Obwohl in den Stadträten maßgebliche Weichen für das Gemeinwohl (Stadtentwicklung, Integration, Wohnraum, Schwimmbäder, Schulen, usw.) gestellt werden, geht die Wahlbeteiligung zurück, die Lokal- und Regionalredaktionen der Medien dünnen aus. Die Medienvielfalt nimmt – insbesondere in Münster – ab. Vor Ort, also im Sitzungsraum des münsteraner Stadtrates, ist die Aufenthaltsqualität eher mäßig. Man findet kaum Plätze, auf denen das Geschehen adäquat verfolgen werden kann. Die Akustik der Redebeiträge ist mies. Die Ratsfraktionen sind für Uneingeweihte, da es keinen öffentlich aushängenden Sitzplan gibt, kaum zu unterscheiden. Grüne, PIRATEN und SPD hatten bereits im Jahr 2011 das Problem erkannt und gemeinsam im Stadtrat beantragt, Sitzungen per Rats-TV ins Internet auszustrahlen (Link zum Antrag). Doch das Vorhaben verlief im Sande, weil einzelne Ratsmitglieder ihr Interesse über das Interesse der Bürgerschaft stellten. Jetzt hat im Landtag NRW eine Anhörung zu einem Gesetzesentwurf der PIRATEN stattgefunden, der Bewegung in die Sache bringen könnte.

In der Anhörung: Pro und Kontra

Die Gegner*innen eines Livestream führten nicht nur rechtliche Bedenken ins Feld. Die „Kommunalen Spitzenverbände“ bewiesen, dass sie noch nicht im Internetzeitalter angekommen sind. Ein Livestream sein nicht nötig, denn die Bürger*innen stünde nach geltendem Recht frei, die Ratssitzungen zu besuchen. Einen Livestream bringe keinen Nutzen, sondern mehr zusätzliche Kosten. Die Verbände bewiesen wenig Zutrauen in die Talente ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder und merkten an, dass von kommunalen Mandatsträger*innen „kein professionelles Auftreten vor der Kamera“ erwartet werden dürfe. Würden Debattenbeiträge gefilmt und gespeichert, „müsste mit einem negativen Einfluss auf die Diskussionskultur in kommunalen Vertretungen gerechnet werden“. Sie prophezeiten die Einschränkung des freien Mandats durch „eine ständige Öffentlichkeits- und Medienpräsenz“ sowie so genannte „Schaufensterreden“, welche die „sachorientierte Debatte nachhaltig erschweren“ würden. In das gleiche konservative Horn stieß, auch die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik NRW.

Das sehen die Befürworter*innen eines Livestreams naturgemäß ganz anders. So schrieb der Verein Mehr Demokratie NRW in einer Stellungnahme, dass ein Livestream ein „einfacher und in der heutigen Zeit adäquater Weg“ sei viele Bürger in die Ratssitzungen ihrer Kommune miteinzubeziehen, die „aus verschiedenen bereits genannten Gründen nicht am politischen Geschehen ihrer Stadt teilnehmen können oder wollen.“ Die Grüne Alternative in den Räten NRW merkte in ihrer Stellungnahme an, dass öffentliches Interesse und Datenschutz keine Gegensätze sein müssen, wenn die Nutzung des Livestreams in Bezug auf Zustimmung der Gefilmten und des gefilmten Bereichs ordentlich geregelt sei.

Livestream ja, aber…

Letztlich handelt es sich um eine politische Entscheidung, bei der abgewägt werden muss, wessen Interesse höher gewichtet wird: das der Bürgerinnen und Bürger oder derjenigen, die sie vertreten. Dass Einzelpersonen eine Livestream durch eine Art Misstrauensvotum verhindern können, halte ich für bedenklich. Ich vertrete die Meinung, dass sich die Ratsmitglieder durch die Teilnahme an einer Ratssitzung in der öffentlichen Sphäre befinden, in die sich sich mit ihrer Kandidatur begeben haben. Wie schon gesagt betrifft die Kommunalpolitik viele Menschen unmittelbar. Rats- und Verwaltungsmitglieder tragen deshalb Verantwortung und treffen Entscheidungen, die eine Gemeinde prägen und die Menschen in großer Zahl und Intensität betreffen. Das Aufnehmen und Speichern von Ratssitzungen kann helfen, kommunaler Politik für die Menschen nachvollziehbar und transparent zu gestalten. Aber es kann auch, das muss an dieser Stelle zugegeben werden, zu Missverständnissen führen. Deshalb kann es für mich nur ein „Ja, aber…“ als Antwort auf die Frage nach der Einführung eines Livestreams geben. Ein Livestream allein, kann die Lösung für das Wahrnehmungsproblem der kommunalen Tagespolitik nicht sein, da das Verständnis der Vorgänge in den Sitzungen, die allgemeine Kenntnis über politische Prozesse voraussetzt. Bei weitem nicht alle politischen Beratungen finden im Sitzungsraum statt und der Inhalt einer Entscheidung ist häufig für die Zuschauer*innen – ob nun vor Ort oder am Bildschirm – nicht erklärbar, weil viele Entscheidungen bereits im Vorfeld getroffen worden sind. Prof. Dr. Oebbecke von der Uni Münster hat auf die Gefahr hingewiesen, dass ein Livestream der Sitzungsrealität (“Sitzung über mehrere Stunden”) nicht gerecht wird, sondern zu Fehlwahrnehmungen“ in der Bürger*innenschaft führen könnte. Ein Problem, das sicherlich auch die Liveübertragung der Bundestagsdebatten begleitet.

Aber ist das ein entscheidendes Argument gegen einen Livestream? Ist die Gefahr, missverstanden zu werden, ein Grund besser zu schweigen? Ich denke nicht. Nur darf ein Livestream nicht alleinestehen. Das per Livestream aufgezeichnete Geschehen braucht,  – ähnlich wie ein Fussballspiel – Kommentatorinnen und Kommentatoren. Besser ist es, ein Rats-TV einzuführen und in eine kommunal-demokratische Gesamtstrategie einzubinden. Und so hatten die Grüne das gemeinsam mit PIRATEN und SPD im Jahr 2011 auch beantragt. Unter Punkt 3 hieß es in dem Antrag: „Zur Umsetzung des Projekts soll als Grundlage eine freie, open-source Software-Plattform verwendet werden. Mindestanforderungen sind Aufzeichnung, Verwaltung und Verbreitung von Videos sowie nachträgliches Hinzufügen von weiteren Informationen. (…) Des Weiteren sollen unter anderem Präsentationsfolien, Beschlussvorlagen, Links zum Ratsinformationssystem auf einem zweiten Monitor (“Splitscreen”) eingeblendet werden können.“ Und weiter: „Die Verwaltung wird ferner beauftragt, für die Umsetzung Möglichkeiten zur Kooperation mit bürgerschaftlichen Medienwerkstätten in Münster zu suchen. Durch ein Bürgerprojekt soll die Ratssitzung journalistisch vorbereitet und begleitet werden sowie Interesse in der Bürgerschaft für Kommunalpolitik geweckt werden. In Absprache mit dem Jugendrat soll auch die Möglichkeit für ein begleitendes Medienprojekt mit Kindern und Jugendlichen geprüft werden.“

Ein solches Rats-TV sollte schon längst Realität sein.

Der Autor ist für die grünen sachkundiger Bürger im Kultur- und Sozialausschuss der Stadt Münster und Mitglied im Landesvorstand von „Mehr Demokratie“ Nordrhein-Westfalen

Artikel kommentieren

Kommentar verfassen

%d Bloggern gefällt das: