Hasserfüllt und blutig inszeniert das Stadttheater Münster seit vergangenen Samstag die Nibelungen von Friedrich Hebbel. Von Eifersucht rasen die Schauspielerinnen und Schauspieler über die Bühne. Frauen raubend, intrigierend und metzelnd. Da bleibt kein Schwert trocken. Der tapfere und treue Siegfried fällt durch den übelsten Verrat. Und seine Ehefrau übt blutige Rache. Selbstüberhöhung und Zorn führen ins Verderben.
Und dann ist da dieser Monolog. Wie aus dem nichts. Direkt nach der Pause. Entnommen aus dem Stück FEAR von Falk Richter. Es ist ein Monolog der klarstellt: „Niemals wieder! Deine Politik, PEGIDA und AfD hat uns in zwei Weltkriege geführt und deshalb NEIN und nochmals NEIN zu dir.“ Der Monolog enthüllt einen festen Standpunkt, aber auch die Hilfslosigkeit, Menschen, zu überzeugen, die rationalen Argumenten nicht mehr zugänglich sind. Aktueller geht es nicht. Und das ausgerechnet in den Nibelungen, einem Stück, das viele als das “deutscheste Stück” überhaupt bezeichnen würden. Wer das Theater in Münster kennt, weiß, dass es nicht notwendig war, klarzustellen, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rechte Parolen ablehnen, ja, sogar verachten. Aber heutzutage reicht es nicht, nur einmal Stellung zu beziehen. Man muss es immer und immer wieder tun. Und dafür danke ich dem Stadttheater von ganzem Herzen.
Denn die Wahlerfolge der AfD mögen Aufsehen erregend sein, die Berichterstattung darüber ist es intellektuell kaum. Es ist erstaunlich: bei der AfD gehen Medien in einer Art ins Detail, wie ich sie in der Berichterstattung über andere Parteien noch nie erlebt habe. Es geht auch gerne darum, wer die AfD gewählt hat und welche Gefühle die Menschen dazu verleiten, der AfD ihre Stimme zu geben. Aber darüber, was die AfD will, ihre Forderungen und ihr Wahlprogramm – Pustekuchen. Statt dessen geht es eher um Emotionen. Und plötzlich stimmen konservative Politiker*innen in den Fremdenfeindenchor mit ein – aus Angst Wähler*innen zu verlieren. Auch ihr habt aus der Geschichte nichts gelernt!
Ich gehe davon aus, dass dies der AfD eher nutzt. Es erspart ihr die Mühe, die Menschen inhaltlich zu überzeugen. Werbeagenturen wissen, dass sie oft kein Produkt verkaufen, sondern ein Lebensgefühl. „Widerstand gegen die da oben“, gegen die „die Etablierten“, wer braucht da noch die Frage: “wofür eigentlich?”. Dass die Medien gleichzeitig über Geflüchtete berichten – vor allem über die Schwierigkeiten der Migration (bei der aktuellen Gesetzeslage sind diese Schwierigkeiten auch kein Wunder!) , gibt der AfD in den Augen der bereits von rechts politisierten Medienkonsument*innen das Gefühl, Recht zu haben. Das wiederum hilft der AfD, sich in Szene zu setzen. Und so dreht sich eine Meinungsspirale, die zwar die Menschen bewegt, aber auf einer Fiktion beruht. Nämlich der Behauptung, Geflüchtete wären bedrohlich und das vordringlichste Problem, das es zu lösen gelte.
AfD-Medien, Medien-AfD. Selbst wenn ein Journalist durch einen gut recherchierten Beitrag es schafft, die AfD zu entlarven und den Mythos der Geflüchtetenflut zu widerlegen, wird er durch die tagesaktuelle Berichterstattung beinahe minütlich von sich ständig wiederholenden Schreckensbotschaften überlagert und zugedeckt. Dass bei weitem nicht alle Menschen in Deutschland lesen und schreiben können, geschweige denn Qualitätszeitschriften lesen und viele auch anti-intellektuelle Vorurteile pflegen, tut da sein Übriges. Sie sind leichte Beute.
Wenn dem so ist, frage ich mich, was dies über die politische Kultur in Deutschland verrät. Haben wir etwa Medien, die eher Gefühle ansprechen als den Verstand? Haben wir ein Bildungssystem, das politischer und demokratischer Bildung einen geringen Stellenwert einräumt? Gibt unsere auf Konsum und Konkurrenz basierende Gesellschaft vielen das Gefühl zu kurz zu kommen und schürt Neid auf die aller Ärmsten? Wie viele Menschen in Deutschland glauben tatsächlich, ihr Leben wäre mehr wert, nur weil sie “Deutsche” sind (was immer das sein soll?). Wenn diese Fragen mit Ja beantwortet werden können, habe alle, die sich zum aufgeklärten und humanistischen Teil der Bevölkerung in Deutschland zählen, noch zahlreiche Zumutungen und die AfD noch viele Wahlerfolge vor sich. Dann wird noch Vieles viel schlimmer werden, bevor es endlich wieder besser werden kann.
Aber wollen wir das? Ich kann sie sehen, die Alten, die in ihren Heimen sitzen, die Zeitung aufschlagen und sich fragen, ob die Welt verrückt geworden ist. Mit zitternden Händen fahren sie mit ihren runzligen Fingern über die Zeilen der Zeitungen. Sie schauen sich traurig mit milchigen Augen an. Schließlich erhebt sich ein Greis aus seinem Rollstuhl. Er ist versehrt. Ihm fehlen ein Bein und einige Finger an der rechten Hand. Empört rekt er seinen Gehstock in die Höhe und krächzt: „Wollt auch ihr die Leichen eurer Lieben aus Flüssen und brennenden Häusern ziehen? Seid ihr denn von Sinnen?“
Denn, um es klar zu sagen: Wenn sich die AfD durchsetzt, wird es die Nibelungen, wie ich sie am Samstag in Münster gesehen habe, nicht mehr geben. Sie würden durch eine deutschtümelnde zensierte Version ersetzt. Und das darf niemals passieren. Denn wenn es gegen diesen Wahnsinn keine kulturelle Opposition mehr gibt, wenn die Kunst nicht mehr frei sein darf, sind all Menschen allen voran die Künstlerinnen und Künstler – Schauspielerinnen und Schauspieler, Malerinnen und Maler, Bildhauerinnen und Bildhauer, Musikerinnen und Musiker, und vor allem die Schriftstellerinnen und Schriftsteller – ihr schutzlos ausgeliefert. Und deshalb “Nein, nein und nochmals nein!”