
Wenn es nur eine begrenzte Anzahl Ressourcen gibt; diese also endlich sind und Wachstum begrenzt ist: wieso haben dann etablierte Verbände wie Gewerkschaften und zahlreiche Umweltvereine ein Problem damit, dies anzuerkennen und die Forderung nach einer Postwachstumsökonomie zu teilen? Auch dieser Frage geht man auf der degrowth-Konferenz nach. In einem Workshop teilten AktivistInnen ihre Erfahrungen aus und VertreterInnen von alt-eingesessenen Verbänden plauderen aus dem Nähkästchen.
In dem Workshop wurde durchaus anerkannt, dass die diversen Verbände unterschiedliche Ziele verfolgen. So gäbe es viele eher konservative Verbände, die eher umweltschützend aktiv seien und mit dem status quo ganz zufrieden seien. Diese lehnten “radikale Positionen” eher ab, um nicht gesellschaftlich anzuecken. Auch wurde von einer „systemischen Abhängigkeit der Verbände“ gesprochen. Einige VertreterInnen von Verbänden warfen der politischen Klasse vor, nur auf die Tagespolitik zu reagieren und langfristige nachhaltige Projekte aus den Augen zu verlieren. Postwachstumsansätze wie die Fragen „Ist Arbeit ohne Umweltzerstörung möglich?“ würden gar nicht erst diskutiert, sondern mit Totschlag-Argumenten wie Arbeitsplatzverlust oder einem möglicherweise drohenden Niedergang der Sozialsysteme zur Seite gewischt. Im Zweifel würde die Politik, so ein Podiumsteilnehmer frustriert, trotz aller Debatten und Einsichten im Vorfeld beinahe immer „für die Wirtschaft“ entscheiden, um in der Bevölkerung keinen Imageschaden zu erleiden.Auch viele Verbände hätten vor diesem Imageschaden Angst. Würden sie sich zur Postwachstumstheorie bekennen, liefen ihnen möglicherweise die Mitglieder davon und/oder ihnen würden wichtige Fördergelder durch die Politik gestrichen. Doch was kann man tun, um wachstumskritische Ansätze in Vereinen und Verbänden zu etablieren und diskussionsfähig zu machen? Die Vorschläge waren dahingehend eher tastend und vorsichtig und umspannten leider nur einen Bogen zwischen „erst einmal ansprechen und in Arbeitskreisen zur Sprache bringen“ bis hin zu „Anträge stellen und die Leute konfrontieren“. So könne man Impulse „wirkungsmächtig“ machen und über Positionspapiere hinauskommen.
Wie so oft auf der degrowth-Konferenz nach die Freiheits- und Wertedebatte einen wichtigen Platz in der Diskussion im Workshop ein. Wie kann es sein, dass, obwohl die Menschen in Deutschland in vielen Bereichen in ihrer individuellen Freiheit beschnitten werden, es ein Veggy-Day-Vorschlag ist, der Proteste und Widerstand auslöst? Ich habe mich das auch gefragt und folgende staatliche Eingriffe in die Freiheit des Individuums gefunden: diverse Naturschutzmaßnahmen, Schulpflicht, Einschränkungen beim Waffenbesitz, Sanktionen im Zusammenhang vom Leistungsbezug (Hartz IV), die damalige Wehrpflicht, zahlreiche Jugendschutzgesetze, Rauchverbot, etc, um nur eineige zu nennen. Es wird also schnell deutlich, dass es sich bei der Freiheitsdebatte um eine Wertedebatte handelt. Warum sich jemand über die Beschneidung seiner persönlichen Freiheit aufregt, offenbart den individuellen Wertekanon. Oder um es deutlich zu machen: in Deutschland leben Menschen, die wegen eines Mettbrötchens eine große Welle machen, die aber nicht protestieren, wenn ihre Töchter Kleidung kaufen, die unter Ausbeutungsbedingungen produziert worden ist. So war die Einschätzung auf dem Podium auch richtig, dass die Postwachstumsbewegung momentan die „Nikolaikirche nicht voll kriegen“ würde. Man sei aber auf dem richtigen Weg. Es gelte weiter an der Entlarvung von Scheinwerten und moralischer Doppelzüngigkeit zu arbeiten. Nach allem was ich hier erlebe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass diese Herausforderung von den TeilnehmerInnen der degrowth-Konferenz gerne angenommen werden wird; auch wenn es in Bezug auf die Überzeugungsstrategie bezüglich etablierten Verbänden noch eine große Ratlosigkeit zu geben scheint.