
Die Rektorinnen und Rektoren der Hochschulen Nordrhein-Westfalens proben den Aufstand gegen die Rot-Grüne Landesregierung und Ministerin Svenja Schulze (SPD). Grund dafür ist das Geplante „Hochschulzukunftsgesetz“, das momentan in einem Referentenentwurf vorliegt. Aus Protest gegen die drohende Reform weigern sie sich, die zwischen Hochschulen und Bundesland vorgesehenen Ziel- und Leistungsvereinbarungen zu unterschreiben. Aber wieso denn bloß? Wogegen wehren sich die Hochschuleitungen? Wovor haben sie Angst? Sind die Ziele der Landesregierung derart verwerflich, dass es die Rebellion der RektorInnen rechtfertigt?
Die Mittel
Da sich die Ziele einer Landesregierung – je nach dem, wer die Regierung stellt – verändern können, möchte ich zu zuerst die Mittel nennen, mit denen die Rot-Grüne Landesregierung die Hochschulen in NRW steuern oder besser regieren möchte. Wie will sie sicherstellen, dass eine politische Maßnahme von den Hochschulen umgesetzt wird? Die Antwort: Unter anderem mit Hilfe der „strategische Budgetierung“, einem Controlling-Instrument, das Finanzströme dazu benutzt, Verwaltungen auf Linie zu bringen. Die Landesregierung möchte Gelder an politische Ziele koppeln, um so zu garantieren, dass sie auch umgesetzt werden. Spuren die Hochschulen nicht, ist Taschengeldkürzung angesagt.
Doch es geht nicht nur ums Geld, sondern auch um die Koordination. Wo dürfen welche Studienfächer angeboten werden? Wer nimmt wie viele Studierenden auf? Um sicherzustellen, dass die Hochschulen die gewünschten Ergebnisse liefern, sollen Hochschulverträge zwischen Hochschulen und Ministerium mess- und nachprüfbare Entwicklungs- und Leistungsziele beinhalten. Ebenso sollen Konsequenzen bei nicht-Erfüllung der Ziele vereinbart werden. Also Sanktionen. Kein Wunder, dass den RektorInnen, die sich im Moment wie kleine FürstInnen fühlen dürfen, der Kragen platzt. Das Ministerium will auch in Personalverwaltung, bei Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten, im Gebühren-, Kassen- und Rechnungswesens mitreden und allgemein verbindliche Regelungen ausarbeiten.
Ein weiteres Mittel der Entmachtung der Rektorate ist die Einführung neuer Gremien und die Machtübergabe an schon bestehende Personenkreise.
Strukturveränderungen: neue Gremien, neue Zusammensetzung
Mitgliederinitiative: die Landesregierung möchte Mitgliedern einer Hochschule ermöglichen, „agenda setting“ zu betreiben, d.h. sie können gemeinsam dafür sorgen, dass ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt und besprochen wird. Das können auch unangenehme Themen sein. Wie genau eine Mitgliederinitiative ablaufen kann, ist im Hochschulzukunftsgesetz geregelt. Die Hochschule muss den InitiatorInnen einer solchen Initiative bei der Durchführung behilflich sein.
Hochschulversammlung: Rektorate sollen nicht mehr von den Senaten gewählt werden, sondern von der Hochschulversammlung. Die Hochschulversammlung kann Mitglieder des Rektorates abwählen. Die Hochschulversammlung ist ein neues Gremium und besteht aus den Mitgliedern des Senates und des Hochschulrates. Sie haben das gleiche Stimmenverhältnis.
Viertelparität im Senat: Der Senat wird zu gleichen Teilen besetzt; d.h. MitarbeiterInnen, ProfessorInnen und Studierende haben gleich viele Sitze und Stimmen. Es gibt allerdings zahlreiche Ausnahmen. Nicht alles soll von den Studierenden mitentschieden werden dürfen.
Hochschulkonferenz: Es kann eine Hochschulkonferenz eingeführt werden. Sie besteht aus Gremien der Hochschule (Senat, Studierendenvertretung, Fachbereichsvertretung, Hochschulrat, DekanInnen, Personalrat, etc.). Sie berät mindestens einmal im Jahr über den aktuellen Stand, die zukünftige Entwicklung und das Leitbild der Hochschule.
Hochschulrat: Hochschulratsmitglieder müssen zukünftig alle Externe sein. Das Ministerium kann Hochschulratsmitglieder absetzen. Der Senat kann ein Hochschulratsmitglied zur Absetzung vorschlagen. Der Hochschulrat gibt Tagesordnung und Beschlüsse „hochschulöffentlich“ bekannt.
Geschlechterparität: Gremien sollen zukünftig geschlechterparitätisch besetzt sein; d.h., die Hälfte der Sitze eines Gremium sollen mit Frauen besetzt werden. Es soll angestrebt werden, zu gleichen Teilen männliche und weibliche ProfessorInnen einzustellen.
Weitere Neuerungen sind…
Anwesenheitspflicht: Die Anwesenheitspflicht bei Lehrveranstaltungen wird weitgehend abgeschafft.
Exmatrikulation von Studierenden: Hochschulen können Studierenden exmatrikulieren, wenn sie ihr Studium über einen „längeren Zeitraum nicht betreiben“, was dann erfüllt sein soll, wenn die Regelstudienzeit um die „doppelte generelle oder individualisierte Regelstudienzeit plus zwei Semester überschritten wird, oder wenn in vier aufeinander folgenden Semestern keine Prüfung erfolgreich absolviert worden ist. Ausnahmen sind: Studierende mit minderjährigem Kind (plus 3 Semester), StudierendenvertreterInnen (bis vier Semester), Gleichstellungsbeauftragte (bis vier Semester), Menschen mit Behinderung, Studierende in Pflegeverantwortung (bis zu drei Semester).
Drittmittel: Forschungsvorhaben, die mit Drittmitteln finanziert sind, müssen der Öffentlichkeit „in geeigneter Weise“ öffentlich gemacht werden.
Studentenwerke: Die Studentenwerke werden in Studierendenwerke umbenannt. Dem Verwaltungsrat des Studierendenwerks sollen vier statt nur drei Studierende angehören. Dem Verwaltungsrat des Studierendenwerks dürfen keine Mitglieder angehören, die in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Studierendenwerk stehen. Die Sitzungen des Verwaltungsrates sollen nun öffentlich sein. Nur Personalangelegenheiten und ähnliche Angelegenheiten dürfen in nicht-öffentlicher Sitzung behandelt werden. Die Geschäftsführung kann sich durch eine VertreterInnenversammlung beraten lassen.
ASten: Die Allgemeinen Studierendenausschüsse sollen einen Beauftragten benennen, der sie in Haushaltsangelegenheiten berät. Diese Person muss zumindest die Befähigung für den gehobenen Verwaltungsdienst oder ähnliches nachweisen. Diese Beauftragten sind dem AStA-Vorsitz unterstellt.
Online-Lehrangebote: die NRW-Hochschulen sollen Lehrangebote in Form elektronischer Form anbieten.
Diversity: die Hochschulen sollen die vielfältigen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und der ausländischen Studierenden ernst(er) nehmen.
Zivilklausel: die Hochschulen sollen sich einer „nachhaltigen und friedlichen Welt“ verpflichten, d.h. Lehre und Forschung sollen friedlichen Zwecken dienen und die Hochschulen sollen ihrer „besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen“ nachkommen.
Teilzeitstudium: soll ermöglicht werden in Teilzeit zu studieren.
Kommentar
Die Auseinandersetzung um die geplante Gesetzesnovelle der Rot-Grünen Landesregierung könnte so zusammenfasst werden: die RektorInnen wollen ihre Macht behalten und diese nicht mit anderen Statusgruppen teilen. Oder noch kürzer: die RektorInnen agieren nach dem Motto: wer unter mir das Land NRW regiert, ist uns doch egal. Doch damit werden die RektorInnen hoffentlich nicht durchkommen. Es ist der Landesregierung zu wünschen, dass sie ihre Reformen durchzusetzen vermag. Denn sie sind sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Im Allgemeinen ist die Reform ein Grund zu Freude, da zahlreiche Forderungen der Studierendenvertretungen in NRW umgesetzt werden sollen und den Studierenden mehr Mitbestimmung eingeräumt werden soll.
Ein großer Sprung ist der Referentenentwurf allerdings nicht. Die Landesregierung macht eine Reform, wo eine Revolution notwendig wäre. Insgesamt muss leider festgestellt werden, dass die Landesregierung es unterlässt, die Hochschulen zu einem Ort umzubauen, wo Lernen und Leben im Mittelpunkt stehen. Die Hochschulen – allen voran die Universitäten – befinden sich in einem Spannungsverhältnis. Sie sollen alles sein: ein Ort der Ausbildung zukünftiger WissenschaftlerInnen, ein Ort der Arbeitsmarktqualifizierung, ein Ort der Weiterbildung und ein Ort der Selbsterkenntnis. In diesem Ringen setzt sich momentan der Aspekt der Arbeitsmarktqualifizierung durch, so dass die Hochschulen größtenteils alles sind, aber kein Orte der Weitergabe von Erkenntnissen. Die Studierenden werden eher darauf getrimmt, Wissen aufzunehmen, auszuarbeiten, abzusondern und sich dann anderen Themen zuzuwenden. „Ist das klausurrelevant?“ ist die häufigste Frage in einem Hörsaal. Das ist der Zeitgeist, den man gerufen hat und die Einstellung, zu dem das verkürzte Studium und der Erfolgsdruck die Studierenden verleiten. Dementsprechend interessiert sich auch kein Studi für die geplante Reform der Landesregierung. Sie geht an ihnen vorbei wie ein Zug, in den sie nicht einsteigen.
Das ist nicht grundsätzlich schlimm, denn wer ein Studium für die Karriereförderung beginnt, soll das auch tun können. Die Frage ist nur, wie alle Interessen unter einen Hut gebracht werden, um Theorie und Praxis miteinander versöhnen und den Bedürfnissen der Studierenden gerecht werden zu können, so dass sich die Studi-Typen nicht gegenseitig frustrieren.
Die Herausforderung diesen Widerspruch zu meistern, hat die Landesregierung nicht angenommen. So bleiben die Hochschulen Orte, die sich selbst abgrenzen und für viele ein Buch mit sieben Siegeln, für andere ein günstiger Durchlauferhitzer für die eigene Karriere sind. Eine Frustration und Zumutung für alle, die wirklich Wissen und Diskutieren wollen. Ein Ort der Gesellschaftskritik und der Reflexion, ein Ort wo neue Ideen und Herangehensweisen erdacht und erprobt werden, werden sie so nicht. Freiräume und freies Denken, dass unsere Gesellschaft so dringend braucht, wird auch mit einem Hochschulzukunftsgesetz solcher Art nicht möglicher. Da fehlt es der Landesregierung an Entschlossenheit. Sie doktert an Symptomen herum, ohne die Krankheit zu bekämpfen.