Am 27. Mai 2023 hielt ich auf Einladung von Exil-Iraner*innen in Münster eine Rede auf dem Stubengassenplatz. Ich danke sehr für die Gelegenheit. Die Rede habe ich hier dem Sinn nach festgehalten.
Salam.
Danke, dass ich heute hier sprechen darf.
Danke, dass ich heute hier sein und sagen darf: wir GRÜNE in Münster stehen an eurer Seite. Wir stehen an der Seite der Demonstrierenden im Iran. Frau. Leben Freiheit. Jin, Jiyan. Azadi!
Es war der Philisoph John Rawl, der wie ich finde, die Frage was Gerechtigkeit ist, ziemlich gut beantwortet hat. Er hat dazu ein Gedankenexperiment gemacht. Er meinte, wir müssten uns eine Welt vorstellen, in der sich alle Menschen, bevor sie geboren werden versammeln. Eine Welt hinter einem Schleier des Nichtwissens. Eine Welt, in der niemand wüsste, als was für eine Person man geboren wird. Ob als Mann oder Frau oder etwas dazwischen. Ob als Mensch mit deutschem Pass oder als Russe oder als Ukainer. Oder ob man in eine reiche oder in eine arme familie hineingeboren wird. Und was diese von Vorurteilen und Privilegien freie Gesellschaft als gerecht annsieht, das sei gerecht. Die Realität sei dann nur noch die Abweichung.
Ich denke, dass es die maßgebliche Aufgabe von Politik ist, diese Abweichung zu korrigieren und zwar überall da, wo man sie vorfindet.
Es fällt mir leicht, hier vor ihnen und euch zu sprechen; insbesondere als GRÜNER, denn wir nehmen die Aufgabe der Korrektur dieser Abweichung sehr ernst. So ernst, dass wir sie in Form eines Frauenstatuts in unsere Parteisatzung hineingeschrieben haben. Wir quotieren Ämter und Listenplätze bei Wahlen. Wir führen auf Versammlungen eine Redeliste, so dass Männer und Frauen abwechselnd drankommen. In Münster führen wir diese Redeliste sogar so, dass auch Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen oder die transsexuell sind, bei Debatten vorquotiert werden, wenn sie dies möchten. Und gibt es mehr Redebeiträge von Männern, dann kann die Frauenversammlung entscheiden, ob die Redeliste für alle geöffnet werden darf.
Wir GRÜNE quotieren auch politische Wahllisten, so dass eine Wahlliste, beispielsweise bei Kommunalwahlen zu 50 Prozent aus Frauen besteht. Auch deshalb haben wir einen so hohen Frauenanteil bei uns in der Partei. Und so sorgen wir dafür, dass es viele Frauen in den Bundestag, in den Landtag oder in die Rathäuser schaffen.
Wir GRÜNE sind also eine feministische Partei und Sie können sich vorstellen, wie es uns auf die Palme bringt, wenn Frauenrechte missachtet werden. Wenn die Abweichungen zu regelrechten Angriffen auf die Menschenwürde werden. Wenn es zu Rassismus kommt. Zu Antisemitismus. Oder Antifeminismus. Dass es uns empört, denn wie im Iran Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes ein Reisepass verweigert wird, verheiratete Männer ohne die Angabe von Gründen die Scheidung einreichen können, im Iran die Aussage von Frauen vor Gericht im Vergleich zur Ausage eines Mannes nur die Hälfte zählt. Wenn im Iran Vergewaltigung in der Ehe keine Straftat ist. Und wenn im Iran eine Frau auf der Straße ohne Kopftuch angetroffen wird oder sie es zu sorglos trägt, die Gefahr besteht, dass sie von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, geschlagen und dabei tödlich verletzt wird. Denn so ging es Zhina Mahsa Amini, die am 16. September 2022 in Teheran gestorben ist.
Das ist die größte Ungrechtigkeit. Ein Mord an einem Menschen, weil er*sie so ist wie er*sie ist. In diesem Fall. Der Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Und wenn es eine Frau treffen kann, dann kann es alle treffen. Und sind die Frauen nicht frei, ist niemand frei.
Um es ganz deutlich zu sagen: solche Abweichungen sind eine Einbahnstraße ohne Zukunft. Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Frau. Leben.Freiheit. Jin, Jiyan. Azadi.
Um es klar zu sagen: Die Verbrecherinnen und Verbrecher sind nicht die, die im Iran für ihre Freiheit kämpfen, sondern es sind die, die Giftgas, wie im Iran geschehen ist, in Mädchenschulen leiten; das sind die wahren Verbrecher. Die gehören vor Gericht. Die gehören verfolgt und bestraft und nicht die Menschen, die sich gegen das Regime wehren.
Wir GRÜNE stehen an der Seite der Menschen im Iran, weil wir den gleichen Kampf führen um die Abweichung zu korrigieren und Diskriminierungen zu beseitigen.
Ich stehe hier voller Demut und Respekt vor den Menschen im Iran, die täglich für ihre Freiheit kämpfen und ihr Leben riskieren. Und ich danke euch, die ihr jeden Samstag den Freiheitskampf der Menschen im Iran auf Münsters Plätze tragt, um uns daran zu erinnern, dass das Ringen um Freiheit im Iran noch lange nicht vorbei ist und unterstützt werden muss.
Zwar kommt es im Iran nur noch vereinzelt zu Protesten, aber immernoch weigern sich viele Frauen den Hijab zu tragen. Das islamische Kopftuch ist für sie zum Symbol weiblicher Unterdrückung geworden. Ihn nicht zu tragen ist eine Kampfansage an das Regime. Das Regime hält nun verstärkt mit Videoüberwachung dagegen, um Frauen, die kein Kopftuch tragen, zu finden und zu bestrafen. Die Videokameras werden dann von den Aktivist*innen mit Damenbinden überklebt als Zeichen dafür, dass es sich beim iranischen Kampf um Freiheit um eine feministische Revolution handelt. Ich habe von Männern gelesen, die sich pinke Kleidung anziehen, also auch die Kleiderordnung für Männer aus Solidarität mit den Frauen bewusst missachten. Es ist beeindruckend, dass viele Menschen im Iran ihren Humor noch nicht verloren haben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Wunsch nach Freiheit wie ein Fluss ist, der zu einer Naturgewalt werden kann, der anschwellen kann um alle Hindernisse auf seinem Weg mit sich fortzureißen. Der Iran erlebt die schwerste innenpolitische Krise seit Jahrzehnten. Deshalb schlägt das Regime um sich. Und deshalb ist Unterstützung so wichtig. Unterstützung, dass heißt natürlich finanzielle und politische Hilfe für die Demonstrierenden im Iran und das Schaffen von Aufmerksamkeit. Aber das bedeutet auch, dass man es dem Mullahregime möglichst schwer macht, den staatlichen Unterstrückungsapparat aufrecht zu erhalten. Deshalb freue ich mich sehr, dass auch auf drängen von uns GRÜNEN und auf Drängen von Annalena Baerbock die Europäische Union weitere Sanktionen gegen die Verantwortlichen im Iran beschlossen hat.
Es ist das achte Sanktionspaket. Auf der Sanktionsliste neu dabei sind endlich die sogenannten Revolutionsgarden. Sanktioniert werden auch Verantwortliche bei der Armee und der Polizei. Damit umfasst die EU-Sanktionsliste nun 216 iranische Verantwortliche und 37 Organisationen. Weitere werden und müssen sicherlich noch folgen.
Die verschärften Sanktionen sind eine Reaktion auf die weitreichende Unterdrückung der Frauen im Iran, aber natürlich auch auf die Hinrichtungswelle, die wir in den vergangenen Wochen erleben. Sie sind eine Reaktion darauf, dass die iranische Regierung fortlaufend Menschenrechte bricht.
Der Iran hat mehr verdient als ein despotisches Mullahregime. Die Menschen im Iran und insbesondere die Frauen, die ja in jeder Gesellschaft viel leisten, haben endlich eine Verfassung verdient, die laizistisch ausgerichtet ist und die alle Menschen egal ob Mann ob Frau ob schwul oder lesbisch oder heterosexuell. Egal ob reich oder arm gleich berechtigt und vor dem Gesetz auf die gleiche Stufe hebt. Sie haben Meinungs- und Pressefreiheit verdient. Sie haben das Recht verdient auf der Straße tanzen zu dürfen. Sie haben das Recht verdient, sich auf der Straße zu küssen. Und ob eine Frau ein Kopftuch tragen will oder nicht, dass soll eine Frau doch selbst entscheiden dürfen. Entweder alle Geschlechter sind frei oder niemand ist frei. Jin, Jiyan. Azadi. Frau. Leben. Freiheit!
Auf dem vergangenen Bundesparteitag unserer Partei stand die Situation der Menschen im Iran – insbesondere die der Frauen – im Mittelpunkt und ich bin sicher, dass Annalena Baerbock als Außenministerin weiter darauf drängen wird, es dem Mullahregime noch schwerer zu machen.
Man kann durch Gesetze und Reformen viel erreichen. Daran arbeiten wir in Deutschland als Partei jeden Tag. Man kann aber auch durch Revolutionen viel erreichen. Die französische Revolution von 1789 und die deutsche Revolution von 1848 sind Ereignisse von denen wir in Europa heute noch profitieren. Und mit dem Mauerfall hatten wir sogar eine friedliche Revolution auf deutschen Boden. Lasst uns gemeinsam hoffen, dass auch die Iraner*innen endlich die Revolution haben werden, die ihr wunderschönes Land verdient.
Das iranische Mullahregime ist in die Jahre gekommen. Es ist ein alter morscher Baum, der sich noch im Wind hält aber umfallen wird, wenn der Sturm kommt. Durch die Proteste im Iran ist er angesägt. Die Revolution mag gerade in iranischen Gerichten zu unrecht zum Tode verurteilt werden, lebt aber in den Herzen der Menschen. Denn wer einmal die Freiheit gekostet hat, wird dieses Gefühl nie vergessen.
Es ist nur eine Frage der Zeit bis der alte Baum fällt und die ersten Triebe einer demokratischen Kultur sprießen werden.
Ich bin überzeugt: wenn im Iran alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, religiösen Ausrichtung und Schichtenzugehörigkeit zusammenhalten, wird es gelingen.
Vielleicht muss es erst schlechter werden, bevor es besser wird. Aber egal was passiert, die Freiheit ist unausweichlich.
Ich werde noch eine Weile hier sein und Freue mich auf die Gespräche mit Ihnen. Am 3. und 4. Juni ist in Münster ein wichtiger GRÜNER Parteitag. Dort wird es auch um die kommenden Europawahlen gehen, die 2024 anstehen. Ihre Anregungen und Hinweise, wie wir als GRÜNE noch bessere Politik machen können, nehme ich gerne dort hin mit.
Danke, dass ich hier sprechen durfte. Und danke für Ihre und eure Aufmerksamkeit.