The Midnight Sky – oder: der Mythos vom “Planeten B”

© Netflix
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Nach den Weihnachtsfeiertagen steht der Film „The Midnight Sky“ auf Platz 1 der deutschen Netflix-Charts. Das Science Fiction – Drama von und mit George Clooney erzählt die Geschichte eines todkranken, depressiven Astrophysikers, der isoliert und vereinsamt in einer arktischen Forschungsstation das Ende der Welt mitverfolgt. Als er ein Raumschiff bemerkt, das von einer Forschungsmission zurückkommt, beschließt er, die Crew vor der Rückkehr auf die Erde zu warnen. Um das Raumschiff anzufunken, muss er allerdings zu einer weit entfernt gelegenen Station, die eine stärkere Antenne besitzt, aufbrechen. Ein gefährlicher Weg. Ein kleines Mädchen, das vermeintlich bei der Evakuierung der Forschungsstation zurückgelassen wurde, begleitet ihn. Ein gut inszenierter Film – jedoch mit einer fragwürdigen Weihnachtsbotschaft.

Das Weltall ist ein Sehnsuchtsort. Er wird in der Science Fiction und in der Propaganda von NASA und Co. als Eroberungsraum für mutige Pioniere dargestellt. Wie früher zur Zeit von kolonialistischen „Entdeckern“ wie Columbus und Pizarro wird das All kartografiert und die Planeten wie früher Landstriche, Berge und Flüsse, mit Namen, die an die kulturelle Herkunft des „mutigen Heroesn“ erinnern, benannt. Entdeckung bedeutet hier Aneignung, Inbesitznahme und Eroberung.

Die „unendlichen Weiten“ versprechen nicht nur „unbekannte Welten und neue Zivilisationen“, sondern auch den sogenannten Planeten B. Den interstellaren Ausweg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit. Die Reißleine, die gezogen werden kann, so dass die Menschheit trotz aller Selbst- und Umweltzerstörung, nachdem der Planet Erde unwirtlich geworden ist, Arche Noah-mäßig trotz allem überlebt. Ein neuer Siedlungsort, wo, wenn möglich Milch und Honig fließen und die Kinder Adams und Evas, geläutert von den Fehlern der Vergangenheit, wieder von Vorne anfangen. Eine Stunde null erlebt, wenn man so will. Eine zweite Chance.

The Midnight Sky greift dieses Thema auf. Gekonnt inszeniert Regisseur George Clooney die Weltuntergangsstimmung und die Einsamkeit, die ein Mann erlebt, der zwar überleben will, aber schon lange keinen Spaß mehr am Leben hat. Dass er als todkranker Mann womöglich als einziger Überlebender einen sterbenden Planeten bewohnt, kann man als Ironie verstehen. Es bleibt bis zum Ende des Films spannenderweise herrlich unklar, was die eigentliche Ursache der Katastrophe ist. Die Dummheit der Menschen regt, was das angeht, die Phantasie an und steigert das mulmige Gefühl, das aufkommt, wenn man die vergiftete Luft über dem Planeten kreisen sieht. Auch wer dafür verantwortlich ist, bleibt im Hintergrund.

Die lachenden heimkehrenden Astronaut*innen haben, frei nach Brecht, die „furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen“. Es ist an Clooney, sie zu überbringen. Soweit funktioniert der Film prächtig. Auch das kleine Mädchen, das Clooney begleitet, verfehlt beim Zuschauer seine Wirkung nicht. Dass es auf der Erde keine Zukunft haben soll, haben darf, und das Gefühl der kurzen Wut, die auf diese Erkenntnis folgt, zeigt, was in diesem Film, der ja beginnt, wenn alles endet, moralisch und philosophisch möglich gewesen wäre. Viel zu kurz trauert die Raumschiffcrew über den Verlust der Spezies Mensch, richtet sich eher in einer privaten familiären Trauer ein, die aber schnell wieder von einem heldenhaften Verantwortungsgefühl – zwei Astronauten kehren sogar trotzdem auf den Planeten Erde zurück, um ihre Familie zu retten – zugekleistert wird. Es deutet sich nicht einmal eine religiöse Sinnkrise an, die im Falle einer existentiellen Katastrophe sonst üblich wäre. Keine Zeit. Bilder von Schneestürmen und einem George Clooney, der todkrank aber actionreich um sein und das Überleben seiner kleinen Gefährtin kämpft, sind wichtiger.

Am Schluss kehrt die Raumschiffcrew zu dem Planeten zurück, den zu erforschen sie aufgebrochen ist. Bevor der Kontakt mit der Erde abreißt, schwärmt ein Crewmitglied Clooney, der die leistungsfähigere Antenne natürlich erreicht, sogar noch vor, wie schön paradiesisch es dort ist. Frei nach dem Motto: andere Mütter haben auch schöne Töchter. Die Botschaft des Filmes, die wahrscheinlich eher hoffnungsvoll besagen soll, dass die Menschheit trotz allem überlebt, lautet dabei gleichzeitig dann aber auch: „Wenn du deinen Planeten geschrottet hast, ist alles halb so wild. Weine nicht, sondern suche dir den nächsten, einen Planeten B. Wenn die NASA nur lange genug danach sucht, wir Milliarden Euro investieren, hart arbeiten und täglich in die Sterne blicken, werden wir sie schon finden, die Alternative.“ Wer’s glaubt, wird seelig.

Tatsache ist nämlich leider: es gibt keinen bewohnbaren Planeten, der nahe genug an uns dran wäre, um besiedelt werden zu können. Der nächste möglicherweise bewohnbare Planet ist, so der aktuelle Stand, 4,2 Lichtjahre von der Erde entfernt. Eine Raumsonde, die 50.000 km pro Stunde zurücklegt, würde für nur ein Lichtjahr 21600 Jahre Zeit brauchen. Das planetare Arche-Noah-Prinzip, auf das The Midnight Sky hinausläuft, ist also schlimmstenfalls fahrlässig und bestenfalls naiv. Der Film vermittelt eine irreführende Technologiegläubigkeit und nährt eine trügerische Hoffnung, die den Blick von der Erde und den eigentlichen Problemen weg und in die Kälte des Weltalls ablenkt. In einer Zeit, in der die Klimakrise bekämpft werden muss, um die schlimmsten Auswirkungen wie Wasserkriege, historische Megastürme, hochhaushohe Flutwellen und millionenfache Migration zu verhindern, ist das die völlig falsche Botschaft. Dass in The Midnight Sky die Technik keine Retterin der Menschheit ist, sondern nur noch Transportmittel zur nächsten Haltestelle der Menschheit für einige Wenige, ist eine Randnotiz.

In dem Film „Solaris“ aus dem Jahr 2005, in dem auch George Clooney mitspielt, und der auf einem Sci-Fi-Klassikerroman von Stanislaw Lem basiert, wurde der Weg des Menschen ins Weltall kritischer gesehen. Darin heißt es: „Der Mensch ist ausgegangen, um andere Welten und andere Zivilisationen zu erkunden, ohne sein eigenes Labyrinth aus dunklen Passagen und geheimen Kammern erkundet zu haben und ohne herauszufinden, was sich hinter den Türen befindet, die er selbst versiegelt hat.“ Bevor wir nach anderen Welten suchen, sollten wir erst mal vor der eigenen Haustür kehren. Dann klappt es vielleicht in einigen tausend Jahren mit anderen Planeten. Ich hatte gehofft, der Astrophysiker gespielt von Clooney in The Midnight Sky würde zu dieser Erkenntnis kommen und bereuen, dass er sich von der Erde genauso abgewandt hat, wie einst aus beruflichem Ehrgeiz von seiner Familie. Ich habe umsonst gewartet. Wo The Midnight Sky den Überlebenden einen zweiten Garten Eden verspricht, bleibt für uns, die im echten Leben zurückbleiben nur, um mit Greta Thunberg zu sprechen, das brennende Haus. Man kann es aus einem Auto heraus im Rückspiegel sehen, und versuchen schnell davon zu fahren. Aber 10 Meter vor der Kühlerhaube wartet keine elegante Schwerelosigkeit oder eine Milchstraße, sondern nur der Abgrund und gähnende, dunkle, sinnlose Leere.

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