Münster nach der Flut – eine Momentaufnahme

Münster leidet unter den Folgen des Starkregens. Vor allem im Stadtteil Kinderhaus und vor dem Sozialamt wird das ganze Ausmaß der größten Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich. Münster zwischen Verzweiflung, Zerstörung und großer Hilfsbereitschaft. Eine Momentaufnahme.

„Wer in der Unwetternacht alles verloren hat, keine Versicherung und keine eigenen Mittel hat, um sich zu helfen, erhält von der Stadt Münster eine finanzielle Soforthilfe“, heißt es auf der Homepage des Sozialamtes. Dort, wo sich in den vergangenen Tagen die Verzweiflung der Menschen in Tumulten entlud, finde ich gegen 12.00 Uhr bereits eine Menschenschlange vor. Einzelpersonen, Familien, viele Mütter mit Kindern warten geduldig auf Einlass und bitten um finanzielle Hilfe. Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma und des Ordnungsamtes zeigen Präsens – für alle Fälle. Auch ein Polizeiwagen ist vor Ort. Die Tumulte der vergangenen Tage haben ihre Spuren hinterlassen. Deshalb ist das Sozialamt dazu übergegangen, die Menschen aufzuteilen und zeitlich voneinander zu trennen. MitarbeiterInnen des Sozialamts erklären den Menschen, geduldig, wer die Soforthilfe bekommt und was man dafür mitbringen muss, um sie zu erhalten. Nur wer einen Personalausweis dabei hat, einen Mietvertrag oder Ähnliches und den erlittenen Schaden (beispielsweise mit Fotos) beweisen kann, bekommt die dringend notwendige Soforthilfe. Ich spreche mit einem Studierenden, dessen Wohnung sprichwörtlich abgesoffen ist. Er hat nichts mehr. Er wünscht mir Glück, weil er denkt, auch ich wolle Hilfe beantragen. Ich bin kurz gerührt und rate ihm, einen Kontoauszug mitzubringen, der seine Bedürftigkeit beweist.

Ich möchte gegen 14.00 Uhr nochmal herkommen, steige deshalb auf das Fahrrad und fahre nach Kinderhaus, dem Ort an dem in Münster die Flut die größten Schäden angerichtet hat. Und tatsächlich. Das Bürgerzentrum ist nicht mehr wiederzuerkennen. Wo gestern noch zahlreiche Veranstaltungen stattfanden, ist heute eine leere Hülle aus Stein. Das Schwimmbad ist in Millionenhöhe beschädigt. Da geht nichts mehr. Überall Bauarbeiter, die ihr Bestes tun und AnwohnerInnen erklären wie schlimm es tatsächlich ist. Zweimeter hohe Trümmerhaufen zeugen von der Zerstörung. Manche riechen stark – und überall spielen Kinder. Nirgendwo in Deutschland gibt es eine höhere Kinderarmutsdichte als in Kinderhaus. Die Stadtteilbibliothek hat es auch stark getroffen. Die Bücher sind längst entsorgt oder in Sicherheit gebracht. Da muss jedem Leser und jeder Leserin das Herz bluten. Wieso treffen Flutkatastrophen immer diejenigen, denen es es schon schlechter geht als anderen?

Zufällig treffe ich einen in Kinderhaus ansässigen Historiker. Er ist erst kürzlich den Grünen beigetreten. Ihn hat es schlimm erwischt. 20.000 Bücher hatte er im Keller gelagert. Seine ganze Bibliothek: nun Müll. Er hat sich bei den Räumungsarbeiten verletzt und humpelt stark. Da er die Müllberge bereits beseitigt hat, hat er nun eine Riesenkellerfläche frei: die Chance für einen Neuanfang. Vielleicht ein kleines Atelier einrichten? Mal schauen. Erzwungene Entrümpelung wie sie 15.000 Haushalte in Münster unfreiwillig ereilte. Sein Schaden zeigt, dass die Flut in so manchem Keller auch ein Teil Münsteraner Stadtgeschichte weggespült hat. Ganze Archive müssen in den Kellern der Münsteraner untergegangen sein. Wer das wiederherstellen will, muss einen langen Atem haben.

Beim Kaffee erörtern wir die wichtigen Fragen dieser Katastrophe: was ist Schuld daran: der von Menschen verursachte Klimawandel? Was kann man in Münster dagegen tun? Wird das noch einmal passieren und wie kann man sich davor schützen? Wie kann man sich zukünftig besser darauf vorbereiten? Fragen, welche die Kommunalpolitik sicherlich bald beschäftigen wird, nein, beschäftigen muss. Das Spaßbad der SPD ist jedenfalls, so glaube ich, nun endgültig untergegangen. Bis zu 20 Millionen Euro betragen Münster weit die vom Starkregen verursachten Schäden. Wer denkt da noch ans Baden? So mancher denkt an gute Geschäfte. So hat ein Gronauer Handwerker die Gunst der Stunde genutzt und ist mit einem Lastwagen voll Wasserpumpen in Kinderhaus vorgefahren, um sie zu verkaufen. Nachfrage und Angebot finden sich vor allen in Katastrophengebieten und ich weiß kurz nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. An den Nachbartischen des Café kennen auch die anderen Münsteraner kein anderes Thema als die Flut. Das wird auch noch lange so bleiben.

14.00 Uhr. Wieder vor dem Sozialamt. Mittlerweile ist die Schlange auf über 200 Menschen angewachsen. Noch mehr Familien, noch mehr Kinder. MitarbeiterInnen des Sozialamts flitzen hin und her, werden von Menschentrauben belagert, reden auf die Leute ein und verteilen Terminzettel. Auch die Leiterin des Sozialamts ist vor Ort und redet ohne Unterlass mit Hunderten von Menschen. Auch sie verteilt abgestempelte Terminzettel. Auch ein Journalist der „Aktuellen Stunde“ des WDR ist inzwischen eingetroffen und baut seine Kamera auf. Mir wird das Gerücht bestätigt, dass Terminzettel an ungeduldige Flutopfer weiterverkauft werden. Deshalb darf auch nur vorsprechen, wer persönlich erscheint. Ein Mann gibt an, eine Hausgemeinschaft von 300 Menschen zu vertreten. Doch darauf lassen sich die SozialamtsmitarbeiterInnen nicht ein. Um Verständigungsproblemen vorzubeugen, haben manche Eltern ihre Kinder als Dolmetscher mitgebracht. Ich habe den Eindruck, dass alles in geordneten Bahnen verläuft. Hier wird Klartext gesprochen. Vor der Eingangstür des Sozialamts legen die Menschen in aller Kürze ihre finanziellen Verhältnisse offen und antworten, um keine Zeit zu verlieren schnell auf die Fragen der Stadtverwaltung. Schnelle Hilfe ist allen Beteiligten wichtiger. Da ist Privatsphäre zweitrangig.

Über 300 Menschen wird so heute freundlich aber bestimmt von der Stadt Münster unter die Arme gegriffen. Insgesamt, so heißt es später in der aktuellen Stunde, hat die Stadt Münster bereits 3.000 Menschen Soforthilfe in Höhe von mehr als 3 Millionen Euro gewährt. Bei einer Katastrophe, die alle trifft, das hat auch die Facebookgruppe „Regen in Münster“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt, helfen die Menschen einander. Darauf kann man echt stolz sein. Das ist es, was eine lebenswerte Stadt ausmacht.

Artikel kommentieren

Kommentar verfassen

2 Kommentare

  1. Schöne Betrachtung. Das mit der höchsten Kinderarmutsdichte in Kinderhaus ist allerdings eine steile These, oder hast du Zahlen?
    Ursachenforschung würde mich auch sehr interessieren. Ich möchte keinesfalls den Klimawandel in Frage stellen, noch all die Maßnahmen, die ergriffen werden, um sich dagegen zu stemmen – frei nach dem Motto: “nachher haben wir die Welt ganz umsonst gerettet”. Aber ich bin der Überzeugung, dass der Klimawandel mit Ereignissen wie diesem Regen herzlich wenig zu tun hat. Es hat halt sehr stark geregnet, aber diese Rekorde sind mit Vorsicht zu genießen: allein zwischen zwei Wetterstationen in Münster variierten die gemessenen Niederschlagsmengen um 60 Liter auf den Quadratmeter, niemand weiß, wieviel es dort geregnet hat, wo es mangels Wohnbebauung niemanden interessiert.
    Flächenversiegelung ist sicher ein wichtiger Aspekt, mehr noch muss man bedenken, dass an jenem Montag, als der Regen begann, die Böden bereits feucht und gesättigt waren von den vorangegangenen Regentagen. Das heißt selbst unversiegelte Flächen konnten nichts mehr aufnehmen. Da sind einfach viele, viele ungünstige Umstände zusammengekommen …

  2. Hallo Jan,

    thanx for your comment. Nein, Zahlen habe ich nicht. Nur diverse Zeitungsartikel.

    WN: Hohe Kinderarmut in der Schleife
    http://www.wn.de/WN-Aktion/Spendenaktion/Brueningheide/2013/12/1399957-Begegnungszentrum-Sprickmannstrasse-Hohe-Kinderarmut-in-der-Schleife

    MZ: Kinderarmut in Münster – Nachteile überall
    http://www.muensterschezeitung.de/staedte/muenster/Kinderarmut-in-Muenster-Nachteile-ueberall;art145997,969974

    Auch auf Westline findet sich ein Artikel über Kinderarmut in Münster.
    Westline: Wo die armen Kinder wohnen
    http://www.westline.de/westfalen/muenster/nachrichten/ln/Wo-die-armen-Kinder-wohnen;art1191,1868725

    Lieben Gruß!

%d Bloggern gefällt das: