No Border-Camp: Helfen, aber wie?

Gestern habe ich das No Border Camp in der Von-Esmarch-Straße in Münster besucht. Ich nahm an einem Workshop zum Thema „Aktivismus – Tourismus auf der Balkanroute?“ und an einem Vortrag mit dem Titel „AfD und die neue Rechte“ mit dem Referenten Andreas Kemper teil. Zuerst möchte ich von dem Workshop berichten.

Wie die Aktivist*innen ihre Rolle in der Geflüchtetenhilfe reflektierten, hat mich sehr beeindruckt. Viele litten während ihres Engagements in Serbien oder Griechenland unter ihren Privilegien als „weiße Deutsche“. Viele fühlten sich schuldig, wenn sie den Tag mit Geflüchteten verbrachten und abends dann in ihr Bett in einem Haus zurückkehrten, während die Geflüchteten im Zelt oder gar auf der Straße schlafen mussten. Wenn sie ernst(er) genommen worden seien, weil sie „Deutsche sind“, sei das befremdlich gewesen. Einigen waren die Emotionen in der Stimme anzumerken, als sie berichteten, wie sie nach Wochen oder Monaten der Hilfe nach Deutschland zurückkehrten und dabei staatliche Grenzen problemlos überwanden; dabei aber die Menschen,  Geflüchtete, die ihnen ans Herz gewachsen waren, in einer ungewissen Situation zurücklassen mussten. Ihre Privilegien waren leider nicht teilbar.

Interview

Manche haben sich auch gefragt, ob ihre Hilfe andernorts besser aufgehoben gewesen wäre. So wurde beispielsweise von einer Art Helfer*innentourismus berichtet, der dafür sorge, dass bereits bestehende Strukturen und Organisationen zu Hause zusammenbrächen, weil es dort dann niemanden gegeben hätte, der sie aufrechterhalten konnte. Hinzu käme, dass beispielsweise in Serbien und Griechenland einige Organisationen sozusagen zu viele freiwillige Helfer*innen aufgenommen hätten, so dass sie eher damit beschäftigt gewesen wären, diese einzuweisen und herumzuführen als ihrer eigentlichen Aufgabe, Geflüchteten zu helfen, nachzukommen. Eine ineffiziente Arbeit, wenn Helfer*innen nur für einige Wochen blieben.

Auch wie das Engagement der Aktivist*innen in ihrem persönlichen Umfeld, also von Freund*innen und ihrer Familie, aufgenommen worden ist, war Thema. Oft hätten sie dafür Anerkennung oder gar Bewunderung erfahren. Einige berichteten, dass sie dieses „Danke, dass du das machst.“ zunehmend abstoße. Schließlich hätten die Geflüchteten auf ihrer Flucht weit größere Strapazen erlebt als sie, was kaum bis gar nicht gewürdigt werde. Eher ständen die Helfenden im Mittelpunkt anstatt die Opfer. Ein Aktivist berichtete, seine Eltern hätten vorgeschlagen, er solle sein Engagement in seine Jobbewerbungsunterlagen mitaufnehmen, um sie kommerziell zu verwerten.

Ebenso wurde rege darüber diskutiert, ob den Geflüchteten, die sie auf dem Weg nach Deutschland befinden, gesagt werden sollte, was sie dort erwarte. Viele Menschen hätten – als sie im Ausland aktiv waren – Deutschland als „gelobtes Land“ und Bundeskanzlerin Merkel als Heilsbringerin gesehen. Doch dies sei bei weitem auch heute nicht der Fall und die Erfahrungen, welche die Geflüchteten in Deutschland letztlich sammeln mussten seien eher enttäuschend und frustrierend. Darf oder sollte man ihre Illusionen also zerstören und sie auf die harte Realität vorbereiten?

Die Aktivist*innen äußerten sich selbstkritisch zu ihrer Haltung gegenüber den Ländern, in denen sie gearbeitet haben. Sie hätten zu wenig über die kulturellen Hintergründe und die politischen Verhältnisse „vor Ort“ gewusst – seien quasi blind mit der Aufgabe des Helfens vor Augen dort gelandet anstatt sich gründlich zu informieren. Sie meinten, dass sie sich, stünden sie nochmal vor der Entscheidung, kundiger machen würden. Was in der eigenen Kultur richtig und wichtig erscheint, könne in Serbien oder Mazedonien fehl am Platz sein.

Schlussbemerkung: Ich habe in dem Workshop viel gelernt. Es ist nicht nur wichtig, dass man hilft, sondern auch wie. Wer keine rassistischen Stereotypen reproduzieren möchte, sollte das eigene Handeln stets reflektieren. Ich selbst bin dankbar, für die Eindrücke, die mir die Teilnehmenden des Workshops vermittelten und bin voller Respekt, dass sie den Mut aufgebracht haben, auf der Balkanroute direkt zu helfen. Sie haben mir folgenden Text zum Thema „Geflüchtetenhilfe und Selbstreflektion“ empfohlen, den ich gerne hier verlinke. Siehe:„Beyond Voluntourism and Holidarity? White German Activists on the ‘Balkanroute’ – (Self)Reflections“ Denn schnell kann man in eine Tourist*innenfalle tappen und unter Umständen ist es sinnvoller und hilfreicher bereits bestehende Strukturen und Organisationen in Deutschland zu unterstützen, Wahlkampf gegen die AfD zu führen, seine Mitbürger*innen zu politisieren und Geflüchtete in deutschen Aufnahmestandorten zu betreuen bzw. für bessere Verhältnisse in Deutschland und Europa zu sorgen oder sich für das Bleiberecht für Asylsuchende und Einwandernde einzusetzen. Doch das sollten alle für sich selbst entscheiden.

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